Vom Sextaner zum Primaner: Borbecker Schul- und Stadtgeschichte

0 25.04.2024

BORBECK. Wenn sich Abiturienten zu ihrem Abiturjubiläum in ihrer alten Schule wiedertreffen, gehen ihre Gedanken selbstverständlich zurück in die gemeinsam erlebte Schulzeit. Gern blättert man dann in Unterlagen wie in den alten Prüfungsarbeiten. Aber auch Festschriften helfen, die schulische Vergangenheit zur Gegenwart werden zu lassen.

Das Gymnasium Borbeck hat im Jahr 1955 eine Festschrift herausgegeben. Anlass war die Feier zur Anerkennung des Gymnasiums Borbeck als voll ausgebautes Gymnasium im Jahr 1905. Bis dahin war das bereits im November 1901 gegründete Gymnasium an der Prinzenstraße ein Gymnasium im Entstehen – so die heutige Bezeichnung -, seinerzeit hieß es „Progymnasium“.

Seine Gründung zeigt die damalige enge Verflechtung von Schul- und Stadtentwicklung: Die Schulgründung sollte die Infrastruktur der früheren Bürgermeisterei Borbeck stärken und dazu beitragen, ihre Selbstständigkeit zu erhalten und die 1915 doch erfolgte Eingemeindung nach Essen zu verhindern.

Diese Festschrift enthält auch die Namen aller Schüler des Schuljahres 1955/1956. Die Jungen – das Gymnasium Borbeck war noch eine Jungenschule - der Klassen 5 a (VI a) und 5 b (VI b) haben also – die Versetzung in die nächsthöhere Klasse immer vorausgesetzt - im Jahr 1964 ihr Abitur abgelegt. Sie begehen folglich zusammen mit den aus anderen Klassen und Schulen hinzugekommenen Seiteneinsteigern in diesem Jahr ihr 60jähriges Abiturjubiläum.

Ein Blick in die Klassenlisten des Jahres 1955 kann verwirren: Sie werden nämlich durch Abkürzungen wie IV a oder VI b eingeleitet. Warum?

Während heute die Jahrgangsstufen von der ersten Grundschulklasse bis zu den jeweiligen Abschlussklassen in arabischen Ziffern (1 bis 13) durchgezählt werden, wurden früher die verschiedenen Jahrgänge des Gymnasiums mit lateinischen Zahlwörtern bezeichnet. Dabei begann die Zählung der Jahrgangsstufen des ursprünglich sechsstufigen Gymnasiums mit dem Abitur- und Abschlussjahrgang als der Prima („die Erste“) bis zur fünften Jahrgangsstufe als Eingangsklasse, der Sexta („die Sechste“).

Nach der Verlängerung der Gymnasialzeit auf neun Schuljahre wurde die Zählung angepasst. Die neue Zählung lautete: Sexta (in römischen Ziffern VI), Quinta (V), Quarta (IV), Untertertia (U III), Obertertia (O III), Untersekunda (U II), Obersekunda (O II), Unterprima (U I) Oberprima (O I). Die Angehörigen dieser Jahrgangsstufen nannte man entsprechend Sextaner, Tertianer oder Primaner.

Die in der Festschrift mit VI a und VI b bezeichneten Eingangsklassen wären also nach aktueller Zählweise die Klassen 5 a und 5 b. Die Jubilare erlebten als junge Schüler im Jahr 1955 mit, wie der Name GymBo als heutige umgangssprachliche Bezeichnung für das Gymnasium Borbeck entstanden ist.

Die Anerkennung als Vollgymnasium wollte man nämlich auch mit einem Festakt im städtischen Saalbau würdigen. Höhepunkt war der Auftritt eines neuen Schulorchesters. Die vor dem jeweiligen Instrument angebrachten großen Namensschilder waren für den Schriftzug „Gymnasium Borbeck“ aber zu klein. Man nahm darum die Abkürzung „Gymbo“, die Band nannte sich deshalb „Gymbo-Band“. Damit war der Name „Gymbo“ in der modernen Schreibweise „GymBo“ geboren.

Lehrer sind natürlich immer dankbarer Gesprächsstoff. Die Festschrift hat alle im Jahr 1955 am Gymnasium Borbeck tätigen Lehrer namentlich, im Bild und in ihrer dienstlichen Funktion vorgestellt.  Dabei stehen die Abkürzungen „StAss“, „StR“ und „OStR“ für „Studienassessor“, „Studienrat“ und „Oberstudienrat“.


Eine Besonderheit stellt das Kürzel „z.Wv.“ dar. Nach dem Krieg wurden Lehrer, die sich in der NS-Zeit in der NSDAP oder ihren Unterorganisationen betätigt hatten, ab 1948/49 in anderen Städten und Schulen wieder in den Schuldienst eingestellt. Bis zur Bewährung hatten sie dann hinter ihrer Amtsbezeichnung den Zusatz „z.Wv.“ („zur Wiederverwendung“) zu führen.

Einige Lehrer haben in die Stadt und in den Stadtteil hineingewirkt. Franz Goebel etwa widmete sich der Heimatkunde und Walter Böhme war am Aufbau der Mathematik an der später gegründeten Gesamthochschule Essen beteiligt. Übrigens: Alle Lehrerphotos wurden von Raimund Lotter gemacht, den die Festschrift als Schüler der Oberprima ausweist und der für die Borbecker Nachrichten über lange Zeit als Photograph journalistisch tätig war.

In den Schülerlisten finden sich zahlreiche Namen von Persönlichkeiten, die in und für Essen und Borbeck verdienstvoll gewirkt haben, unter ihnen an oberster Stelle Wolfgang Reiniger als Oberbürgermeist von Essen.

Auch ein Blick in die Geschäftsanzeigen der Festschrift lässt die Borbecker Vergangenheit wiederaufleben: Die Gaststätte des RWE-Meisterspielers August Gottschalk am Germaniaplatz gehört ebenso dazu wie das Kaufhaus Lembeck oder Lederwaren Strüßmann.


Natürlich dürfen die Borbecker Nachrichten nicht fehlen, die als größte lokale Wochenzeitung des Landes vorgestellt werden.


Unter einem Mangel an Gesprächsstoff werden die Jubilare des Abiturjahrgangs 1964 sicherlich nicht leiden.

Wolfgang Sykorra

Quellen:
Gymnasium Borbeck (Hrsg.): Gymnasium Essen-Borbeck. Städtisches neusprachliches Gymnasium mit naturwissenschaftl. Zweig i. E., Essen 1955
Klaus Lindemann: „Dies Haus, ein Denkmal wahrer Bürgertugend.“ Das Gymnasium Borbeck seit der Kaiserzeit, Essen 2005

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