Vor 100 Jahren: Markt jetzt mit neuzeitlicher Bedürfnisanstalt

0 31.01.2024

Kriegsfolgen, Ruhrbesetzung und Hyper-Inflation - 1923/24 war für die leidgeprüfte Bevölkerung vor allem im Revier ein schwarzes Jahr. Wir bringen in loser Folge Kurznachrichten aus der Zeit vor hundert Jahren, die damals in zeitgenössischen Zeitungen erschienen.

Brot wird schon wieder teurer

Essener Allgemeine Zeitung (EAZ), Donnerstag, 24. Januar 1924. Zu den neuen Brotpreisen, die ab heute gültig sind, wird von der Bäckerinnung mitgeteilt, dass die seinerzeit vorgenommene Ermäßigung von 50 auf 38 Pfennig in die Zeit starker nach unten gerichteter Schwankungen auf dem Mehlmarkt fiel. Auch wurde angenommen, dass die Kohlenpreise heruntergehen und sich dem Friedensstande anpassen würden, wodurch auch eine Verbilligung anderer Unkosten eingetreten wäre.

Da diese Hoffnungen sich nicht oder doch nur zum kleinen Teil erfüllt hätten, andererseits auch die Mehlpreise eine nach oben gerichtete Tendenz aufwiesen, sei das Backgewerbe in allen seinen Teilen gezwungen, die letzte den Tatsachen vorauseilende Preisfestsetzung zu berichtigen. Die geringfügige Preiserhöhung belasse die Brotpreise immer noch unter Friedenspreis, trotzdem wesentliche Posten der Unkosten wie Kohle weit über Friedenspreis stehen.

Der Borbecker Marktplatz im Wandel der Zeiten

EAZ, Freitag, 25. Januar 1924. Wohl bei der Mehrzahl unserer heutigen großen Industrie- und Handelsstädte ist der Marktplatz in erster Linie Ausgangspunkt der gewerblichen und überhaupt städtischen Entwicklungen gewesen und hat vielfach dadurch eine hohe geschichtliche Bedeutung gewonnen. Ein Platz solcher Art ist auch der Essener historische Marktplatz am Rathause. Schon im 11. Jahrhundert mit kaiserlichem Marktprivilegium ausgestattet, war er die Quelle der Entwicklung des Marktdorfes zur wallumwehrten Stadt mit besonderen Freiheiten und Rechten. Kaufmännische und gewerbliche Bevölkerung wurde durch ihn angezogen und machte sich sesshaft.

Keine geschichtliche Bedeutung

Wesentlich anders gestaltete sich die Entwicklung des Borbecker Marktes. Geschichtliche Bedeutung hat seine Fläche nicht, er war nicht Ausgangspunkt, sondern Folge einer durch andere Umstände eingeleiteten städtischen Siedlungsverdichtung. Den Anstoß zum engeren Zusammenschluss der unter dem Oberhof der Herren de Borbecke vereinigten Bauerschaft gab die Abtretung dieses Herrensitzes an das Essener Hochstift, seine Erwählung zum bevorzugten Sommeraufenthalt der Äbtissinnen und die Errichtung einer Filialkapelle der Essener Stiftskirche St. Johannes im 13. und 14. Jahrhundert.

Das außer dem Kirchdorfe zu Anfang des 19. Jahrhunderts noch aus 12 Bauerschaften (Bedingrade, Müllhofen, Frintrop, Dellwig, Gerschede, Vogelheim, Bocholt, Altendorf, Frohnhausen, Holsterhausen, Lippern und Lirich; letztere 2 jetzt zu Oberhausen gehörig) bestehende, insgesamt etwa 2000 Einwohner zählende Borbecker Quartier des Stiftes Essen streifte erst mit beginnender industrieller Ausbeutung der Bodenschätze den rein ländlichen Charakter ab.

Kirchplatz wurde bald zu eng

Auf dem Kirchberge von Sankt Dionysius, der Geburtsstätte des geschlossenen Ortes Borbeck, wickelte sich der Marktverkehr der nunmehr schnell wachsenden Siedlung ab, bis die Kirchengemeinde den 1865 mit der politischen Gemeinde dieserhalb geschlossenen Vertrag wegen der Enge des Kirchplatzes und der damit verbundenen Behinderung des Gottesdienstes im Jahre 1884 löste.

Unentgeltlich mietete alsdann die politische Gemeinde auf 40 Jahre den Wirtschaftsgarten der Witwe Knotte an der mittleren Dorf-, heutigen Borbeckerstraße, ließ den neuen Platz abtragen und an der Borbecker und früheren Nieder-, heutigen Weidkampstraße mit Schutzmauern und Treppen versehen.

Um die Jahrhundertwende veranlasste der gesteigerte Marktverkehr - Borbecks Einwohnerzahl hatte inzwischen das 50. Tausend erreicht - eine Erweiterung dieses Marktplatzes durch Anpachtung der Reststücke der Knotteschen Wirtschaft. Die den Zugangsverkehr hemmende Mauer entlang der Borbecker Straße wurde durch Absenkung des Platzes bis auf Straßenhöhe beseitigt. Der Übergang der Knotteschen Besitzung an den Wirt Barenberg führte 1910 zum Ankauf der Marktfläche durch die Gemeinde. 1913/14 erfuhr die zur Weidkampstraße herabführende Freitreppe ihre heutige bauliche Umgestaltung, welche mit den Symbolen der Industrie und Landwirtschaft geziert und organisch in den Rahmen der Baulücke eingefügt, ein verheißungsvoller Auftakt zu der kommenden Ausbildung des Herzens des aufblühenden Großstadtvorortes war.

Große Kaufhäuser entstanden

Sowohl an der östlichen wie westlichen Platzfront waren inzwischen Neubauten - Kaufhäuser großstädtischen Stiles - aus der Erde gewachsen, ohne dass die Frage der endgültigen Platzform städtebaulich gelöst war. Ein engerer Wettbewerb brachte einige Klarheit und die Einsicht, dass ohne Ankauf der Besitzung Barenberg - das zweistöckige Restaurationsgebäude beherrschte etwa die heutige Platzmitte - an eine befriedigende Lösung nicht zu denken war. 1913 kamen die Ankaufsverhandlungen zum Abschluss, in deren Folge Barenberg Ende 1914 seine Besitzung räumte, so dass Anfang 1915 mit der Niederlegung des hindernden Wirtschaftsgebäudes und der Ausführung des Sanierungsplans begonnen werden konnte.

Die Kriegsverhältnisse und Borbecks Eingemeinungenach Essen (1. 4. 1915) brachten Stillstand der Bauarbeiten. Neue Projekte der Stadt Essen verdichteten sich schließlich zu der Anschauung, die Kirche trotz der Dürftigkeit einer nüchternen Bauform als Platzwand zur Geltung zu bringen. Dem Sinne dieses neuen Entwurfes entsprechend wurde dann der Neubau Pothmann an der Ostfront aufgeführt und im Frühjahr 1923 mit der endgültigen Platzregulierung begonnen.

Neuzeitliche Bedürfnisanstalt angelegt

Aus der übertrieben schiefen Ebene wurde durch Absenkung von 1,50 Meter und Abtragen von 1500 Kubikmeter Boden eine erträgliche, zum Kirchplatz ansteigende, 1850 Quadratmeter große, mit Kleinpflaster befestigte Fläche. Der hierdurch vergrößerte Höhenunterschied zwischen Markt und Kirchplatz bot vollkommene Gelegenheit zur Anordnung einer neuzeitlichen, für diesen verkehrsreichen Platz erwünschten Bedürfnisanstalt, wohl die zweckmäßigste im heutigen Stadtgebiet, kaum sichtbar in der architektonisch ausgestalteten Futtermauer untergebracht. Entwurf und Bauleitung lag in den Händen des Architekten Ludwig Becker.

An den beiderseitigen Hausfronten des Durchstiches zur Kirche steigen bequeme Freitreppen empor zur Höhe und Stille des Kirchplatzes, dem die Grotte, die Kolpings- und die Lueg-ins-Land-Ecke den idyllischen Reiz des Historischen geben. Die Arbeiten nahmen 7 Monate in Anspruch und erforderten 145 Milliarden Mark Kosten.

Alles in allem ist hier im Herzen Borbecks eine städtebauliche Anlage geschaffen, die - mag es ihr heute auch noch an künstlerischem Schmuck hier und da mangeln - dem Schenkungsdrang eingesessener Bürger sind keine Schranken gesetzt - der hoffentlich glücklicheren Nachwelt den Beweis erbringt, dass auch in schwerster Zeit Tatkraft und fester Wille schwierige Probleme ihrer Lösung entgegengeführt haben.

Quelle: Haus der Essener Geschichte / www.zeitpunkt.nrw - zusammengestellt und bearbeitet von Andreas Eickholt

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