Vor 100 Jahren: Borbecker Schulkinder trugen zerschlissene Schuhe

0 03.04.2024

Kriegsfolgen, Ruhrbesetzung und Hyper-Inflation - auch 1924 war für die leidgeprüfte Bevölkerung vor allem im Revier ein schwarzes Jahr. Wir bringen in loser Folge Kurznachrichten aus der Zeit vor hundert Jahren, die damals in zeitgenössischen Zeitungen erschienen.

Winkposten gegen das Verkehrschaos

Essener Allgemeine Zeitung (EAZ), Freitag, 21. März 1924. Die sich in gewissen Tagesstunden bis zur Unerträglichkeit steigernden Verkehrsschwierigkeiten in den ohnehin empfindlich engen Hauptverkehrsstraßen unserer Stadt sind schon häufig genug Gegenstand berechtigter Klagen gewesen.

Die Fußgänger leiden besonders unter dem ungeregelten außerordentlich lebhaften Verkehr von Fahrzeugen aller Art. Den Besitzern von Kraftwagen, Motor- und Fahrrädern war bisher in der Benutzung jedweder auch noch so belebten Verkehrsstraße kaum eine Schranke gezogen. Naturgemäß konnte unter solchen Umständen von einer Sicherheit des Straßenverkehrs nicht die Rede sein. In jenen Großstädten, die einen so starken Verkehr wie Essen aufweisen, hat man schon längst zur verkehrssichernden Maßnahmen gegriffen.

Endlich will nun die Polizeibehörde auch in unserer Stadt durch Einrichtung besonderer, den Verkehr an den verschiedenen Hauptpunkten regelnde, Organe den ungeordneten Zuständen ein Ende machen. Von heute ab sollen an besonders wichtigen Verkehrsknotenpunkten so genannte Winkposten aufgestellt werden, denen die Aufgabe zufällt, den Fahrzeugverkehr nach eigenem Ermessen und nach den jeweiligen Umständen zu regeln.

Die im Interesse der Verkehrssicherheit getroffene Maßnahme wird in der Bürgerschaft sicher lebhaft begrüßt werden. Die Winkposten werden an einem Winkstab mit weißer Scheibe erkennbar sein. Ihren Anordnungen ist unbedingt Folge zu leisten. Diese Neuregelung wird an 5 Hauptverkehrspunkten der Stadt durchgeführt, und zwar sind vorgesehen ein Winkposten südlich der Eisenbahnunterführung am Hauptbahnhof in Höhe der Schillerstraße, ein weiterer Winkposten nördlich der Eisenbahnunterführung in Höhe der Märkischen Straße (Hauptpostamt). Winkposten 3 und 4 stehen nördlich beziehungsweise südlich des Viehofer Platzes in Höhe der Gleiskreuzungen beziehungsweise der Gertrudisstraße. (...)

Die Not der Borbecker Schulkinder

EAZ, Donnerstag 3. April 1924. Vor einem Monat hatten wir aus der Feder von Dr. med. Steuerthal einen eindringlichen Artikel veröffentlicht, der auf die wachsende Not unserer Säuglinge und Kleinkinder hinwies. Wie bei den Kleinkindern, so ist auch bei den heranwachsenden Knaben und Mädchen der Gesundheitszustand außerordentlich bedenklich und gibt zu den ernstesten Befürchtungen Anlass, wie das mit packender Deutlichkeit aus den nachfolgenden Ausführungen erhellt, denen amtliches Material zugrunde liegt.

Eines Tages Ende vorigen Jahres wurde in allen Gemeinde- und Hilfsschulen eines Essener Stadtteiles (Essen-Borbeck) eine unvermutete Umfrage veranstaltet, die die Ernährungsverhältnisse hinsichtlich des ersten Frühstücks und des mitgebrachten Schulfrühstücks und vor allen Dingen die Bekleidungsverhältnisse der an diesem Tage im Unterricht anwesenden Schüler aufgrund eines Fragebogens feststellen sollte. Es konnten an diesem Tage die Angaben von 10500 Kindern erbracht werden. An der Untersuchung waren etwa gleich viel Knaben und Mädchen beteiligt.

Von diesen Kindern hatten rund 11% der Knaben und 10% der Mädchen vor der Schule kein genügendes Frühstück gehabt. Auffallenderweise wiesen gerade die jüngsten Jahrgänge in dieser Hinsicht die schlechtesten Verhältnisse auf (...)

Genügende Kleidung hatten etwa 55% der evangelischen und 49% der katholischen Knaben, 63% der evangelischen und 52% der katholischen Mädchen. (...) Als völlig ungenügend war die Kleidung zu bezeichnen (kein Hemd, keine Strümpfe oder keine Schuhe oder auch gleichzeitiges Fehlen mehrerer dieser Stücke) bei je 3% der evangelischen und katholischen Knaben, bei einem Prozent der evangelischen und bei 1% der katholischen Mädchen.

36% der evangelischen Mädchen und 47% der katholischen Mädchen waren in dem Sinne mangelhaft gekleidet, dass Ober- und Unterkleidung übermäßig stark verschlissen waren oder alle möglichen und unmöglichen Ersatzteile getragen wurden. Besonders die Schuhe waren durchgehend mangelhaft und undicht. (...)

Quelle: Haus der Essener Geschichte / www.zeitpunkt.nrw - zusammengestellt und bearbeitet von Andreas Eickholt

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