Baumeister, P. Leo

Ein hundertjähriges Abitur wäre ein guter Anlass, an den Ort des Geschehens zurückzukehren. Das beträfe neunzehn junge Männer, die 1924 am Gymnasium Essen-Borbeck die Prüfung bestanden haben. Ihre Namen: August Adelkamp, Hermann Altenkamp, Klemens Altenkamp, Heinrich Baumeister, Leo Baumeister, Otto Bender, Johannes Bittscheidt, Franz Doppelfeld, Johannes Eckardt, Ernst Goecke, Emil Grüning, Theodor Güldenberg, Leonard Mies, Karl Schäfer, Georg Scholl, Johannes Schwinning, Heinrich Vogelpoth, Alfred Voß und Engelbert Wingendorff.

Traditionell befanden sich unter den Borbecker Abiturienten viele mit dem Berufswunsch Theologie. Ein Hinweis darauf ist in der Randbeschriftung der Postkarte der Abiturientia 1924 versteckt: „Es kommt ein Schiff gefahren, gefüllt bis an sein Bord, gefüllt mit lauter schwarzen Pfaffen, die führen allein das Wort“ (Bild s.o.). Zu den „schwarzen Pfaffen“ gehörte der 22-jährige Leo Baumeister, Berufswunsch Theologie. Seinem Lebensweg soll im Folgenden behutsam nachgegangen werden.

Leo Baumeister kam am 31. August 1902 in der Devensstr.14 in Essen-Altendorf als Sohn des Bürobeamten Heinrich Baumeister zur Welt. Seine Mutter Maria war eine geborene Röhr. Leo hatte zwei Schwestern, von denen eine Schwester im Alter von 19 Jahren nach schwerer Krankheit starb, und drei Brüder. Der Bruder Heinrich machte mit ihm 1924 das Abitur am Gymnasium Borbeck. Sein älterer Bruder Alfons gehörte zu den „Einjährigen“, deren Weg vom Gymnasium Borbeck nach der 10. Klasse direkt in den Krieg führte. Nach der Rückkehr aus dem Krieg legte er im Februar 1919 an seiner alten Penne die „Reifeprüfung für Kriegsteilnehmer“ ab. Er wurde 1930 im Benediktinerkloster Plankstetten (Oberpfalz) als „Pater Anselm“ zum Priester geweiht.

Leo Baumeister, dessen Heimatpfarrei St. Maria Himmelfahrt in Essen-Altendorf, war, absolvierte von 1908/09 bis 1916 die Volksschule. Danach – mitten im Ersten Weltkrieg – verließ er mit vierzehn Jahren das Elternhaus und besuchte ab Ostern 1916 mit dem Wunsch, Priester zu werden, Klosterschule und Internat der Franziskaner (Kollegium St. Ludwig) im niederländischen Vlodrop zwischen Roermond und Wegberg (Provinz Limburg). Zur Erlangung der Reifeprüfung, die ihm in Vlodrop offenbar nicht möglich war, meldete sich Leo Baumeister 1923 am Mariengymnasium in Werl an, um dort als Externer das Abitur zu machen. Die Schule war bekannt dafür, Schülern, die einen geistlichen Beruf anstrebten, den gymnasialen Abschluss zu ermöglichen. Leo Baumeisters Versuch, hier das Abitur zu erlangen, schlug fehl.

In dieser Situation kam ihm der Gedanke, sich an der Schule anzumelden, an der sein Bruder Alfons den Abschluss geschafft hatte und sein Bruder Heinrich Schüler noch war. So besuchte er nach einer Aufnahmeprüfung ab 1923 die Oberprima des Gymnasiums Borbeck und legte hier am 29. Februar 1924 das Abitur ab. Sein Klassenlehrer urteilte im Zulassungsgutachten vor dem Abitur über den Schüler Leo Baumeister: „Seine Leistungen sind im Allgemeinen genügend, in einzelnen Fächern gut. Er scheint ein ehrlicher Arbeiter und strebsamer Mensch zu sein und darf wohl als reif bezeichnet werden. Betragen und Fleiß sehr gut. Berufswunsch Theologie.“ Tatsächlich erreichte Leo Baumeister einen Notendurchschnitt von 2,3 und war – wie sein Bruder- auf Grund seiner schriftlichen Leistungen von der mündlichen Prüfung befreit.   

Ein kurzer Exkurs: Sein Mitschüler Franz Doppelfeld (1905-1964) wurde Pfarrer in St. Elisabeth in Neuss-Reuschenberg. Von 1941 bis 1944 war er im KZ Dachau inhaftiert und verbrachte die Jahre 1944 bis 1950 in sowjetischer Kriegsgefangenschaft. Nach der Rückkehr übernahm wieder seine alte Gemeinde St. Elisabeth. 1963 wurde er Pfarrer an St. Markus in Bornheim-Rösberg. Dort ist er 1964 gestorben. [vgl. den Eintrag im „Lexikon“ auf dem Online-Portal borbeck.de].

Die Nachkriegszeit war geprägt durch politische Unruhen, schlechte Versorgungslage, Inflation und Ruhrbesetzung. Beispielsweise brachte die Reichsbank, wie die Essener Allgemeine Zeitung am 1. März 1924, einen Tag nach der Reifeprüfung am Gymnasium Borbeck, berichtete, neue Banknoten zu 10, 20 und 50 Billionen Mark heraus. Direktor Wilhelm Vollmann zeigte sich wegen der steigenden Anzahl unterernährter Schüler, verbunden mit einem eklatanten Nachlassen der Leistungsfähigkeit, äußerst besorgt. [Lindemann 217 und 223].  Es waren häufig finanzielle Gründe, die insbesondere Eltern aus dem „Schwarzen Borbeck“ dazu bewogen, ihre Söhne und Töchter einem Kloster und Orden anzuvertrauen.

Nach dem Abitur trat Leo Baumeister, seinem Bruder Alfons folgend, in die Benediktinerabtei Plankstetten ein und absolvierte in Eichstätt und München die obligatorischen philosophisch-theologischen Studien. Nach drei Jahren brach er das Studium aus unbekannten Gründen ab und verließ mit Dispens die Benediktiner in St. Bonifaz München. Möglicherweise war Leo Baumeister in eine Sinnkrise geraten, vielleicht haben ihn auch finanzielle Gründe, etwas eine akute Notlage im Elternhaus, zum Abbruch des Ordenslebens bewogen. Jedenfalls findet man ihn in den Jahren 1927 und 1928 als Zechenarbeiter in Gelsenkirchen wieder. Das kurze Intermezzo endete 1928 mit dem Eintritt in den Orden der „Oblaten der Makellosen Jungfrau Maria“ (Hünfelder Oblaten) in Maria Engelport bei Treis-Karden an der Mosel (Landkreis Cochem). Hier legte Leo Baumeister 1929 die Ersten Gelübde und 1932 in Hünfeld die Ewigen Gelübde ab.

Nach weiteren theologischen Studien wurde Leo Baumeister in Hünfeld zum Priester geweiht. Von 1934 bis 1936 war er als Volksmissionar von Maria Engelport und Saarbrücken aus im Einsatz. Die nächste Aufgabe als Volksmissionar führte ihn von 1936 bis 1942 ins St. Nikolauskloster bei Neuss. 1942 wurde Leo Baumeister Soldat an der Ostfront mit Einsätzen bei Kämpfen in Polen, der Ukraine und Rumänien. In der südrussischen Stadt Taganrog am Asowschen Meer, die im August 1943 von sowjetischen Truppen zurückerobert worden war, geriet er in Gefangenschaft und verbrachte im Kriegsgefangenenlager 356 die letzten Monate seines Lebens. Dort ist Leo Baumeister am 3. Januar 1945 gestorben.

(FJG)

 

Quellen:

Lindemann, Klaus: „Dies Haus, ein Denkmal wahrer Bürgertugend“. Das Gymnasium Borbeck seit der Kaiserzeit. Geschichte einer Essener Schule im Kontext gesellschaftlichen Wandels, Klartext Verlag, Essen 2005.

Klosterkamp, Thomas: Katholische Volksmission in Deutschland, Leipzig 2002 (= Erfurter Theologische Studien Band 83).

Gründges, Franz Josef: „Aus dem schwarzen Borbeck“ – Über Zusammenhänge zwischen dem Orden der Oblaten, dem Bauunternehmer Franz Pothmann und dem Krisenjahr 1929, Aschendorff Verlag Münster 2020 (= Essener Beiträge. Beiträge zur Geschichte von Stadt und Stift Essen, 133. Band 2020, S. 197-227).

Haus der Geschichte Essen (Stadtarchiv): Reifeprüfungsunterlagen des Gymnasiums Borbeck, Abitur 1924.

Archiv der Hünfelder Oblaten: Nekrolog zu Leo Baumeister.

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