Das Grundgesetz in Schloss Borbeck

Ausstellungseröffnung am Tag der Deutschen Einheit

0 04.10.2024

BORBECK. 75 Jahre Grundgesetz - 75 Jahre Bundesrepublik: Am Tag der Deutschen Einheit gab es kaum einen besseren Ort als Schloss Borbeck, dieses Jubiläum und den runden Staatsgeburtstag zu feiern. Über 100 Besucher drängten sich am Donnerstag, 3. Oktober, um 18 Uhr im Theatersaal des Fürstenberghauses am Schlossplatz. Der Anlass: Die Eröffnung einer neuen Ausstellung in der Städtischen Galerie Schloss Borbeck, die zukünftig durch die Essener Stadtteile wandern wird, um das Werden und die Kernbestandteile unserer Verfassung vorzustellen. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei der bislang nicht weit verbreiteten Erkenntnis, dass zu den Müttern und Vätern des Grundgesetzes auch eine wichtige Spur nach Essen führt.

Lebendiger Abend mit Überraschungen

Dass die Beschäftigung mit Recht und Gesetz alles andere als eine trockene Materie ist, zeigte schon der Rahmen dieses lebendig gestalteten Abends: Ein ganz frisch zusammengestellter Projektchor des Mädchengymnasiums Borbeck (MGB) unter Leitung von Axel Chr. Schullz übernahm die musikalische Begleitung und überraschte mit der Erkenntnis, dass die im Grundgesetz formulierten Grundrechte auch hervorragend gesungen werden können: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Dass auch die Erklärung der Menschenrechte als Kanon erklingen kann, berührte durchaus viele Gäste, die gerne aktiv mit einstimmten.

Eine weitere Überraschung mag einem glücklichen Zufall geschuldet gewesen sein, doch passte sie in außergewöhnlich guter Weise in diesen locker-lehrreichen Feierabend: Muchtar Al Ghusain, Beigeordneter der Stadt Essen für die Bereiche Jugend, Bildung und Kultur, hatte die Grundsatzrede übernommen, sprach auch über die Bedeutung Europas und erinnerte an die seit der Initiative von Robert Schuman zur Montanunion 1950 gewachsene deutsch-französische Freundschaft. Und er hatte Besuch mitgebracht: Mit großem Applaus begrüßte die Versammlung mit Monsieur Djillali Lahiani, Stellvertretender Bürgermeister der Stadt Toulouse, einen Gast aus Frankreich. Sehr fröhlich mischte sich der in der südfranzösischen Millionen-Metropole für Kultur, Jugend, Wirtschaft und Arbeit zuständige Beigeordnete unter die Gäste und wurde mit herzlichem Applaus bedacht.

Grundgesetz Vorbild in vielen Staaten

Das vom Parlamentarischen Rat 1949 verabschiedete Grundgesetz erzielte in 75 Jahren eine erstaunliche Wirkung: Vielen, denen dies heute als selbstverständlich erscheint, wird kaum bewusst sein, dass es weltweit zum Vorbild wurde. Südkorea übernahm Anfang der Sechzigerjahre wesentliche Elemente des Grundrechtsschutzes und der herausragenden Rolle des deutschen Verfassungsgerichts in sein neues Verfassungsrecht. Wohl keine andere Verfassung wurde so stark vom Grundgesetz geprägt wie die nach der Franco-Diktatur 1978 verabschiedete spanische Verfassung, auch in Portugal und Griechenland orientierte man sich beim Übergang zur Demokratie am Grundgesetz. In den 1990er-Jahren erreichte es großen Einfluss nach dem Zerfall der Sowjetunion in zahlreichen Staaten Ost- und Mitteleuropas wie in Ungarn, Tschechien, Rumänien, die Slowakei oder Kroatien. Beachtliche Vorbildwirkung entfaltete das Grundgesetz auch nach dem Ende des Apartheid-Regimes in Südafrika, dazu in Südamerika und in Asien.

Bittere Lehre aus der Geschichte

Diese Entwicklung war allerdings in keiner Weise abzusehen, als am 1. September 1948 der Parlamentarische Rat in Bonn seine Arbeit aufnahm. Am 8. Mai 1949, auf den Tag genau vier Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation, unterzeichnete Ratspräsident Konrad Adenauer als erster das Gesetzeswerk, seine Verkündung am 23. Mai 1949 wurde zur Geburtsstunde der Bundesrepublik Deutschland. Alle Teilnehmer des Rates waren von der unmittelbaren Erfahrung der Zerstörung Deutschlands im Zweiten Weltkrieg geprägt, von der Brutalität und Rechtlosigkeit der nationalsozialistischen Diktatur, unterstrich die Ausstellungskuratorin Dr. Claudia Kauertz vom Haus der Essener Geschichte/Stadtarchiv (HdEG). Zahlreiche Mitglieder des Rates gehörten bereits den Parlamenten der Zwischenkriegszeit an und hatten meist persönlich unter dem Regime gelitten. „Das Grundgesetz mit seinen heute über 200 Artikeln ist eine historische Errungenschaft von höchster Aktualität und existenzieller Bedeutung für unseren demokratischen Staat und unsere freiheitliche Gesellschaft“, betonte Dr. Claudia Kauertz. Besondere Bedeutung komme den mit Ewigkeitsklausel versehenen Grundrechten zu, die nicht als Anhang, sondern als Kernbestandteil in das Grundgesetz aufgenommen wurden. Der zum „Markenzeichen“ gewordene Artikel 1 sei als eindeutige Antwort auf die Unterdrückung der Menschenwürde im NS-Staat zu verstehen.

Schüler machen Vergangenheit greifbar

Wie auch der Borbecker Historiker Merlin Goriß M.A. als weiterer Ausstellungskurator in seinem Vortrag deutlich machte, gilt der besondere Schwerpunkt der Schau den stadtgeschichtlichen Bezügen bei der Entstehung des Grundgesetzes. Denn drei damals in Essen lebende und wirkende Mitglieder des Parlamentarischen Rates waren an der Entstehung direkt beteiligt: Die Biographien von Heinz Renner (KPD), Helene Weber (CDU) und Friedrich Wolff (SPD) vermitteln in der Ausstellung einen persönlichen Zugang, machen die historischen Rahmenbedingungen der Entstehung unserer Verfassung deutlich und sollen zu intensiver Beschäftigung mit den Grundrechten anregen. Hauptzielgruppe sind dabei vor allem die weiterführenden Schulen in Essen - sie können die Ausstellung mit einem archivpädagogischen Begleitprogramm in den Unterricht einbinden.

Wie Goriß erläuterte, beschäftigen sich die Schüler und Schülerinnen hier jeweils mit einzelnen Grundrechten und arbeiten anhand von Archiv-Quellen aus dem HdEG konkrete Themen und Beispiele auf, wie die Nationalsozialisten auch in Essen die Grundrechte missachtet und systematisch ausgehebelt haben. Ihre Ergebnisse bereiten die Schüler multimedial auf und veröffentlichen sie auf der digitalen Pinnwand „Task Cards“: „Sie füllt sich so nach und nach mit unterschiedlichsten Beispielen aus der Essener Stadtgeschichte und es entsteht begleitend eine von den Schülern selbst erarbeitete Ausstellung zur NS-Erinnerungskultur“, erklärte Merlin Goriß.

Ein starker Auftakt scheint dafür bereits in Borbeck gelungen: Neben dem Mädchengymnasium hat seine eigene ehemalige Schule, das Don Bosco-Gymnasium, bereits 2023 eine feste Partnerschaft mit dem Stadtarchiv unterzeichnet. Wie berichtet, folgte vor kurzem auch das Gymnasium Borbeck (GymBo), das seine Forschungsergebnisse am kommenden 8. Mai 2025 zu einer Stolperstein-Verlegung für Walter Rohr präsentieren will. Der ehemalige jüdische Gymbo-Schüler konnte nach seiner Deportation 1938 in das KZ Dachau in die USA flüchten und trat dort in die US-Army ein. Am 8. Mai 1945 kam er als junger Soldat zurück nach Essen und in seinen Geburtsort Borbeck. Weitere Schulen und Einrichtungen haben bereits großes Interesse an der im Fürstenberghaus gezeigten Schau signalisiert, auch der Kultur-Historische Verein Borbeck e.V. bereitet ab November eine Ausstellung mit Begleitprogramm vor.

„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ - Das Grundgesetz und seine Essener Spuren im Schloss Borbeck“ ist noch drei Wochen lang in der Städtischen Galerie Schloss Borbeck am Schlossplatz 2 zu sehen. Und wer will, kann dort auch ein gedrucktes Grundgesetz kostenlos mitnehmen – sie fanden bereits bei der Eröffnung guten Absatz.

Kontakt: Tel. 0201 / 88-44219, E-Mail: kulturzentrum@schlossborbeck.essen.de, Internet: www.schloss-borbeck.essen.de / www.essen.de/kultur

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Christof Beckmann

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