Die GymBo-Aula an der Prinzenstraße

Vom Borbecker Bürgermeister Rudolf Heinrich bis zum Essener Oberbürgermeister Thomas Kufen  

0 07.06.2024

BORBECK. Als Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen am 6. Juni 2024 die neue Aula an der Prinzenstraße ihrer Bestimmung übergab, setzte er gleichzeitig einen planerischen Schlussstrich unter eine Entwicklung, die bereits einige Jahr zuvor begonnen hatte: Mit der Aula im Gebäude des Gymnasiums Borbeck, dem über der Aula liegenden Kunsttrakt, der ausgebauten Sportplatzanlage hinter dem Schulgebäude und der neu renovierten Sporthalle nördlich des Hauptgebäudes bietet sich dem Essener Nordwesten jetzt ein modernes Sport-, Schul- und Kulturzentrum.

Die Aula zwischen Hauptgebäude und Sportplatz wurde als eine Versammlungsstätte für den gesamten Stadtbezirk konzipiert. Sporthalle und Platzanlage dienen nicht nur dem Schulsport, sondern sie können von allen Borbecker Vereinen genutzt werden.

Das Ziel des Gymnasiums Borbeck als eine in den Stadtteil hineinwirkende Schule hatte schon vor Jahrzehnten der damalige Leiter der Schule Josef Birkenbach angestrebt. Anlässlich des Wiederaufbaus der im Krieg erheblich zerstörten Schule erklärte er im Jahr 1955: „Steht erst der Bau in der Prinzenstraße 46 vollendet, dann wird das Gymnasium, wie es Jahrzehnte hindurch war, wieder für den Nordwesten ein Kulturzentrum sein.“

An diese schul- und stadtteilkulturelle Aufgabe dachte Bürgermeister Rudolf Heinrich bei der Einweihung des Schulgebäudes im Jahr 1901 wohl nicht. Vielmehr stand ein konkretes politisches Ziel im Mittelpunkt: Das Gymnasium sollte die Söhne reicher Eltern anziehen, aufnehmen und damit einen entscheidenden Beitrag zur kommunalen Selbstständigkeit Borbecks sein.

Außerdem verstand er im Geist der Kaiserzeit die neue Schule als „Bau gegen die Irrlehren der modernen Weltverbesserer“, mit denen er die an Zuspruch gewinnenden Sozialisten und Pazifisten meinte. Den jeweiligen Zeitgeist spiegelte das Gymnasium Borbeck auch in den folgenden Jahrzehnten wider. Wie dem auch sei: Im gemeindlichen Leben war die Schule hoch angesiedelt, wie das Programm zur Einweihungsfeier deutlich ausweist.

Im Erdgeschoss des neuen Gebäudes befand sich im rückwärtigen Anbau die 200 Quadratmeter große und sechs Meter hohe Turnhalle. Der 83 Quadratmeter große Zeichensaal war mit seinen Sammlungsräumen im 1. Obergeschoss über der Turnhalle gebaut worden. Im 2. Obergeschoss ragte die Aula bis ins Dachgeschoss auf. Sie war mit einer Galerie ausgestattet, die über eine Holztreppe erreicht werden konnte.

Die Fenster der Aula waren mit künstlerisch gestalteten Porträts bekannter Persönlichkeiten sowie mit farbigen bildlichen Darstellungen geschmückt, die abstrakte Begriffe wie den Begriff der Tugend einprägsam veranschaulichten. An der fensterlosen Wand gegenüber sahen die in der Aula versammelten Gäste eingerahmte Gemälde, die die drei deutschen Kaiser seit 1871 zeigten.

Allerdings waren diese Gemälde – dem Zeitgeist einer Republik entsprechend – längst wieder abgehängt, als im Jahr 1927 der Seitenflügel nördlich des Hauptgebäudes eingeweiht wurde. Wieder war es ein feierliches Ereignis. Von der Stadt waren hochrangige Beigeordnete erschienen. In den Dienst der Feier stellten sich Chor und Orchester der Schule. An die Feier schloss sich ein Rundgang durch das neue Gebäude an.

Zu diesem Zeitpunkt waren die Arbeiten am Bau eines Sportplatzes hinter der Schule schon begonnen worden. Im Endausbau bestand das Sportgelände aus zwei auf unterschiedlichem Höhenniveau errichteten Teilen, die durch eine breite Treppe miteinander verbunden waren.

Wenige Jahre später folgte in der Ausstattung der Aula wieder eine Änderung. Im Sinne der Nationalsozialisten hingen jetzt NS-Embleme an den Wänden. Auch die Nutzung des oberen Sportplatzes als „Appellplatz“ für die Jungen spiegelte die nationalsozialistische Einstellung wider.

Ab Januar 1943 beschädigten und zerstörten Bombenangriffe weite Bereiche des Schulgebäudes. Bei Kriegsende waren von dem 1901 errichteten Hauptteil lediglich einige Außenmauern übriggeblieben. Nur der 1927 entstandene Nordflügel überstand trotz starker Schäden den Zweiten Weltkrieg.

Völlig zerstört war auch die Aula. Darunter wurden der Zeichensaal im ersten Obergeschoss sowie die Turnhalle im Erdgeschoss erheblich beschädigt. Alle Räumlichkeiten dieses Anbaus waren so stark betroffen, dass sie nicht mehr genutzt werden konnten.

Außerdem war der Sportplatz erheblich in Mitleidenschaft gezogen worden. Das Photo unten beschreibt anschaulich diese widrigen Rahmenbedingungen der ersten Nachkriegsjahre, unter denen auch Kinder bei der Suche nach Spielplätzen zu leiden hatten.

Der Blick des Photographen geht vom Leimgardtsfeld, Ecke Schnurstraße, auf die zerstörte Trasse der Straße. Die sich anschließenden Grundstücke sind fast nur noch Brach- und Trümmergelände und erreichen etwa an der Böschung die Sportplatzanlage. Trotz des desolaten Zustands: Ein Terrain, das Kinder gern zum Spielen benutzten. Im Hintergrund sieht man das Schulgebäude, dessen Dach der Photograph nicht mit aufgenommen hat, so dass es wie ein Flachdach wirkt.

Die Perspektive des Bildes ermöglicht es, die spätere Entwicklung des Areals im Überblick vorauszuahnen. Der im hinteren Bildabschnitt in der Mitte dargestellte bebaute Bereich wird die neue Aula mit dem Kunsttrakt sowie infrastrukturelle Räumlichkeiten aufnehmen. Das Photo zeigt rechts neben dem Schulgebäude das Gelände, auf dem die heutige moderne Sporthalle stehen wird. Das Areal unmittelbar hinter der Straßentrasse wird die großzügige Sportplatzanlage beherbergen.

Wie diese Ziele konkret umgesetzt wurden, zeigt für die Anfänge der Bauarbeiten aus anderer Perspektive ein Bild, das etwa zur gleichen Zeit im Jahr 1953 gemacht wurde:

Eine neue überdachte Pausenhalle, Schülertoiletten sowie Duschen und ein Umkleideraum für den Sportunterricht sind im Entstehen.

In dieser Phase des Wiederaufbaus erhielt das Gymnasium Borbeck erneut hohen Besuch von der Stadt Essen. Oberbürgermeister Dr. Hans Toussaint besuchte im April 1954 die Prinzenstraße. Nicht, um einen neuen Trakt zu eröffnen, sondern um sich von den noch vorhandenen Kriegsschäden und weiteren Schritten beim Wiederaufbau ein Bild machen zu können. Tatsächlich gelang es, den Neubau des früheren Aula-Traktes anzugehen.

Im Vergleich dazu ergaben sich allerdings wesentliche planerische Änderungen. Zunächst war vorgesehen, den neuen Kunstsaal im Dachgeschoss des Nordflügels von 1927 einzurichten und die Turnhalle mit darüber liegender Aula als Anbau an alter Stelle anzusiedeln. Von diesen Planungen wich man im Verlauf der Bauphasen erheblich ab und entschied sich für eine so genannte Mehrzweckhalle, die für den Turnunterricht und als Aula genutzt werden könnte. Außerdem wurde vereinbart, darüber einen großen Zeichensaal zu errichten. Dieses Vorhaben wurde bis Ende 1957 umgesetzt.

Das Projekt einer „Mehrzweckhalle“ stieß auf heftige Kritik. Bereits kurz nach der Fertigstellung titelten die Borbecker Nachrichten in ihrer Ausgabe vom 28. Februar 1958: „Zwischen zwei Stühle gesetzt. Mehrzweckhalle am Gymnasium erweist sich als Fehlplanung.“ In der Tat hatte die Schulleitung erste Erfahrungen ausgewertet und ausgerechnet, dass man jeweils drei Tage für den Ein- und Ausbau der Stühle etwa aus Anlass der Verabschiedung der Abiturienten benötige, so dass der Sportunterricht in der Halle zu dieser Zeit ausfallen muss.

In den Folgejahren verlagerten sich deshalb Festveranstaltungen von der Mehrzweckhalle ganz allmählich in den Zeichensaal, in dem dann auch die ersten Stadtteilkonzerte des Gymnasiums Borbeck und schulunabhängige Versammlungen beispielsweise zu gesellschaftlich relevanten Fragen stattfanden. Die Mehrzweckhalle dagegen blieb zunehmend dem Schul- und Vereinssport vorbehalten.

Parallel zur baulichen vollzog sich die Freiraumentwicklung hinter dem Schulgebäude. Im Jahr 1949 kehrten Lehrer und Schüler von ihrem Gastdomizil an der Alfred-Krupp-Schule in notdürftig und ohne NS-Embleme wiederhergerichtete Räume ihres Gymnasiums Borbeck zurück. Gemeinsam halfen sie dort mit, das Sportgelände von Trümmern zu räumen.

Nicht nur die Schule profitierte von diesem Einsatz. Kirmessen nutzten das Gelände zum Vergnügen der Kinder, die den Schaustellern beim Aufbau der Fahrgeschäfte halfen und dafür Freikarten erhielten.

Ende der 1950er-Jahre entstand schließlich eine moderne Sportplatzanlage mit der Möglichkeit, Sportarten wie Fußball und Leichtathletik im Freien auszuüben.

Trotz dieser erfreulichen Entwicklung reichten die Angebote für den Schul- und Vereinssport bald nicht mehr aus. Darum konzipierte die Stadt Essen eine so genannte Dreifachturnhalle, in der durch das Ausfahren mobiler Trennwände das gleichzeitige Unterrichten von drei Klassen ermöglicht werden sollte.

Im Jahr 1983 war es so weit: Bürgermeister Helmut Karnath übergab in einer Feierstunde den 4,5 Millionen Mark teuren Bau seiner Bestimmung. Das Gymnasium Borbeck konnte dadurch sein pädagogisches Angebot erweitern. Von der Schulaufsicht erhielt es die Genehmigung, ab dem 1. Februar 1983 im Fach Sport für die Oberstufe auch Leistungskurse anzubieten.

Dennoch: Das Fehlen einer Aula war immer spürbar. Als das Gymnasium Borbeck im November 1991 seinen 90. Geburtstag gebührend begehen wollte, musste man für die Feier in den Festsaal der Borbecker Dampf-Bierbrauerei ausweichen. Auch bei dieser Gelegenheit versammelten sich hochrangige Vertreter des öffentlichen Lebens am Festort. Die Schule konnte Oberbürgermeisterin Annette Jäger, den Stadthistoriker Ernst Schmidt sowie den Beigeordneten und Schuldezernenten Udo Bayer begrüßen. Dieser hatte sich Anerkennung für sein Ziel erworben, die maroden Schulgebäude zu sanieren, und stieß dabei auf die Unterstützung des Gymnasiums Borbeck.

Dazu die Borbecker Nachrichten am 22. November 1991: „In einem szenischen Spiel öffneten die Kollegiumsmitglieder Müller, Wiening, Santesson und Gründges den Blick auf das Jahr 1901. Schulleiter Dr. Wolfgang Sykorra nutzte die Gunst der Stunde und die Anwesenheit der Oberbürgermeisterin zu einem glühenden Plädoyer für die Rettung der Bausubstanz der Schulen.“

Zehn Jahre später hatten sukzessiv durchgeführte Instandsetzungen tatsächlich zu baulichen Verbesserungen geführt. Auch der Zeichensaal des Gymnasiums Borbeck war saniert worden. Grund genug, sich darüber zu freuen und im Jahr 2001 das Ereignis des 100jährigen Bestehens der Schule zu feiern.

Ganz bewusst wollte sich die Schule dabei von dem 1901 als Bollwerk gegen vermeintliche sozialistische Umtriebe verstandenen Gymnasium in einer Ausstellung absetzen. Als programmatisches Motto wählten die Ausstellungsmacher um Klaus Lindemann, Sabine Prause und Stephan Müller deshalb „Vom ´Bau gegen die Irrlehren der modernen Weltverbesserer` zur ´Offenen Schule`“.


Im Sinne einer „offenen Schule“ wurde die Ausstellung von einem vielfältigen Rahmenprogramm begleitet, in dessen Mittelpunkt der historische Schülerumzug des Jahres 1901 unter Führung von Andreas Filthuth und Franz Josef Gründges nachgespielt wurde.

Besondere Aufmerksamkeit fand die Festveranstaltung im Zeichensaal. Oberbürgermeister Dr. Wolfgang Reiniger, Absolvent des Gymnasiums Borbeck, ließ es sich nicht nehmen, im Auftrag der Stadt Essen seine alte Schule in Borbeck zu besuchen.

 Anwesend war auch die Bezirksvertretung, die das frühere selbstständige Borbeck parlamentarisch vertrat. Im Gegensatz zu 1901 war diesmal die gesamte Bandbreite der demokratischen Volksvertreter willkommen.

Die 2000er-Jahre näherten sich zunächst kontinuierlich dem Ziel einer Wiederherstellung der Bausubstanz an den Schulgebäuden, als im Jahr 2016 im Erdgeschoss des Kunst- und Sporttraktes ein Brand ausbrach und die Mehrzweckhalle vollkommen zerstörte.

Es bedurfte jahrelanger Anstrengungen, bis jetzt ein neues Ensemble aus Aula, Sporthalle, Sportplatz und Kunstbereich von Oberbürgermeister Thomas Kufen übergeben werden konnte.

Wolfgang Sykorra

Quellen:
Themenbezogene Zeitungsartikel aus Borbecker Nachrichten, Neue Ruhr Zeitung, Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Klaus Lindemann: „Dies Haus, ein Denkmal wahrer Bürgertugend“. Das Gymnasium Borbeck seit der Kaiserzeit. Klartext Verlag, Essen 2005
Christa Emde-Bringenberg, Franz Josef Gründges, Horst Kohlmann, Bernd Krallmann, Sabine Prause, Hubert Rüter, Wolfgang Sykorra: Gymnasium Borbeck 1905 – 1995. Chronik einer Schule im 20. Jahrhundert, Verein der Freunde und Förderer des Gymnasiums Borbeck e.V., Essen 1995
Klaus Lindemann, Wolfgang Sykorra: Gymnasium Borbeck. In: Andreas Koerner (Hrsg.), Zwischen Schloss und Schloten. Die Geschichte Borbecks, Verlag Henselowsky Boschmann, Bottrop 1999, S. 149 - 157
Bildnachweise: Wolfgang Filz/BN, Schularchiv, Stadtarchiv, Archiv Sykorra, Pressestelle Feuerwehr

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