Vergangenheit greifbar machen

Kooperationsvertrag des GymBo mit dem Haus der Essener Geschichte soll Vergangenes für Jugendliche lebendig machen

0 25.09.2024

BORBECK. Walter Rohr – diesen Name haben die EF-Schüler Nils und Mika aus Herrn Hünings „Stolperstein AG“ am Gymnasium Borbeck (GymBo) mittlerweile oft gehört. Über seinen abenteuerlichen Lebensweg haben sie so viel gelesen und recherchiert, dass sie den Namensträger fast persönlich zu kennen glauben. In der Tat taugt das Schicksal des jüdischen GymBo-Schülers als Filmstoff: Von den Nazis verfolgt und interniert, gelang Rohr die Flucht aus einem Konzentrationslager und die Übersiedlung in die Vereinigten Staaten, um schließlich als Soldat der alliierten Streitkräfte Hitler zu stürzen und an der Neuordnung der deutschen Gesellschaft mitzuwirken.

Recherchen im Essener Haus der Geschichte

Das Ziel der Arbeitsgemeinschaft, am historisch bedeutsamen 8. Mai des nächsten Jahres einen Stolperstein für Rohr vor dem GymBo zu verlegen, machte Geschichtslehrer Dr. Lars-Christopher Hüning auf die umfangreichen historischen Materialien - Akten, Notizen, Briefe, Fotos, Tonaufnahmen und Videos - des Hauses der Essener Geschichte aufmerksam. Merlin Goriß, beim Archiv für historische Bildungsarbeit und Ausstellungen zuständig, konnte der AG dann helfen, die Quellen zu sichten und Original-Fotos bereitstellen. Auch Dr. Jonas Hübner, der das Ernst-Schmidt-Archiv für NS-Erinnerungskultur betreut, kann in Zukunft zur Recherchearbeit beitragen und sicher so manche noch bestehende Lücke in Rohrs Biografie schließen.

Feste Kooperation unterzeichnet

Durch den engen Austausch ergab sich alsbald die Frage der Verstetigung: Mit dem Kooperationsvertrag, den GymBo-Schulleiter Lars Schnor und Institutsleiterin Dr. Claudia Kauertz nun unterzeichneten, einigen sich das GymBo und das Haus der Essener Geschichte zum Beispiel auf regelmäßige Führungen durch das Archiv und die Dauerausstellung für Schülerinnen und Schüler sowie Projekte zu historischen Themen wie etwa eine Ausstellung zur Biografie des GymBo-Schülers Walter Rohr.

Zwei Jahre soll der Vertrag erst einmal gelten und im Falle einer erfolgreichen Zusammenarbeit auch verlängert werden. Denn, so ist sich Dr. Lars Hüning sicher, „Bildungspartnerschaften wie diese erschließen unseren Schülerinnen und Schülern neue Lernwelten. Die Arbeit an authentischen Quellen im Archiv zu dem Schicksal eines ehemaligen GymBo-Schülers macht Vergangenheit für die heutigen Jugendlichen besonders greifbar und bedeutend.“

Eine Brücke ins Jetzt

Das Knistern von Papier, ein Tintenfleck, die zittrige Handschrift eines Gerichtsschreibers – all das sind Momente der Vergangenheit, die eine Brücke ins Jetzt schlagen. Diesen Gedanken unterstreicht auch Archivleiterin Dr. Claudia Kauertz; beispielhaft verweist die Historikerin auf die Wanderausstellung ihres Hauses zum Grundgesetz, das die Verwerfungen und Fehler der Vergangenheit verarbeitet habe und deshalb heute eine historische Errungenschaft von bleibender Aktualität darstelle.

Schulleiter Lars Schnor unterstützt das Ansinnen seiner Geschichtsfachschaft voll und ganz; der GymBo-Absolvent hat früher selbst im Geschichtsunterricht historische Dokumente studiert und dabei die Unmittelbarkeit des Vergangenen erfahren. „Geschichte lässt sich nicht nur in verstaubten Chroniken nachlesen, sondern ist auch immer ein Spiegel der eigenen - vergangenen und aktuellen - Gesellschaft“, sagt Schnor. „Durch sie können wir auch ein Bild davon entwerfen, wer wir zukünftig sein wollen.“ Vergangenes erfassbar machen, die Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten – mit dem Haus der Essener Geschichte als Bildungspartner sind diese Ziele für das GymBo sicher in greifbare Nähe gerückt.

Text und Foto: Sonja Klever

Stolperstein 2025 für Walter Rohr

Der ehemalige jüdische Gymbo-Schüler Walter Rohr konnte nach seiner Deportation 1938 in das KZ Dachau in die USA flüchten und trat dort in die US-Army ein. Am 8. Mai 1945 kam er als junger Soldat zurück nach Essen und in seinen Geburtsort Borbeck.

Wie uns der Borbecker Historiker Merlin Goriß berichtet, besuchte er die zerstörte Alte Synagoge, recherchierte in städtischen Akten nach verbliebenen Familienangehörigen, kehrte zurück zum elterlichen Geschäft in Borbeck und an seine alte Schule: „In den 80er Jahren nahm der Stadthistoriker Ernst Schmidt, dessen Nachlass bei uns im Stadtarchiv überliefert ist, Kontakt zu Walter Rohr auf und traf sich mit ihm 1995 in Essen. Zusammen mit Fr. Hartings (Stolpersteinbeauftragte) möchten wir am 08. Mai 2025 zum Gedenktag des Kriegsendes einen Stolperstein für Walter Rohr verlegen und mit der Schülergruppe des Gymbos ein repräsentatives Format - eventuell eine Roll-Up-Ausstellung - zu dieser Biografie erstellen. Die Bildungspartnerschaft mit dem Stadtarchiv und dem Gymbo leitet dieses Projekt ein und gibt diesem einen vertraglichen und auch öffentlichkeitswirksamen Rahmen.“

75 Jahre Grundgesetz: Ausstellung im Schloss Borbeck

Das Grundgesetz und seine Mütter und Väter in Essen – Ausstellung in Schloss Borbeck

Am „Tag der Deutschen Einheit“, Donnerstag, 3. Oktober 2024, wird um 18:00 Uhr in Schloss Borbeck die Ausstellung „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Das Grundgesetz und seine Mütter und Väter in Essen!“ von Essens Kulturdezernent Muchtar Al Ghusain eröffnet. Es gibt Redebeiträge und musikalische Begleitung durch den Schulchor des MGB.

Mit der Eröffnung stellt das Essener Haus der Geschichte auch sein archivpädagogisches Begleitprogramm vor, dass sich an alle weiterführenden Essener Schulen richtet und Schülergruppen in einer historischen Retrospektive auf die NS-Zeit, die Missachtungen wie Verfehlungen unserer heutigen Grundrechte aufarbeiten und auf einer digitalen Pinnwand präsentieren lässt.

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